Focusgruppen (FG) vor Ort oder doch online?
Die Focusgruppe ist und bleibt ein vielseitiges und gewinnbringendes Instrument unter den qualitativen Methoden. Die spezielle Variante der Online-Focusgruppe hat mit der aktuellen Corona-Situation an Bedeutung gewonnen, ist jedoch kein neues Phänomen. wissma bietet die digitale Durchführung bereits seit einigen Jahren an, dabei gibt es einige Aspekte zu beachten…
Erreichbarkeit, DER Vorteil der online Focusgruppe Bei den online Focusgruppen ist die Erreichbarkeit und damit die Rekrutierung einfacher als bei den klassischen Focusgruppen vor Ort. Ist man sonst auf die regionale Erreichbarkeit und damit ein eingeschränktes Feld angewiesen, so kann man online „aus dem Vollen“ schöpfen. Die TeilnehmerInnen müssen sich nicht an einem bestimmten Ort treffen, sie ersparen sich die Anfahrt. Die Rekrutierung wird einfacher, der Zeitaufwand geringer, und damit auch die Incentives für die Teilnahme. Die Online-FG ist ortsungebunden durchführbar und verlangt „nur“ technische Voraussetzungen (siehe unten). Die Krux dabei ist, dass man die regionale Abdeckung dadurch „erkauft“, dass die Teilnehmer zumindest so online-affin sein müssen, um sie zur Teilnahme zu bewegen und um es technisch zu bewerkstelligen. Aber die gute Nachricht: bereits 88% der Österreicher(innen) ab 14 Jahren nutzen das Internet.*
Technische Durchführung Videokonferenzen sind angekommen, soviel darf man sagen. Das gibt auch der Option der Online-Gruppendiskussion einen Boost. Es ist dabei zu beobachten, dass sich die Nutzung mehr und mehr auf mobile Endgeräte und zum Teil auch ausschließlich darauf verlagert. Viele besitzen oder verwenden keine Standgeräte oder Laptops mehr. Besonders die Jungen, unsere digital natives, arbeiten und leben mit dem Handy, der Computer selbst wird weniger wichtig. Das stellt hinsichtlich Online-FG eine Schwierigkeit dar, die meisten mobilen Anwendungen sind nicht auf die Darstellung mehrerer Teilnehmer gleichzeitig ausgelegt. Spätestens bei mehr als 4 Personen sind die eingeblendeten Videos der anderen TeilnehmerInnen so winzig, dass man nichts mehr erkennen kann.
Aber was wäre eine Gruppendis
kussion, wenn man die anderen nicht sehen kann? Und damit müssen wir die Freude über die reduzierten Kosten auch wieder dämpfen: Die Rekrutierung ist einfacher, ja, aber wir müssen im Vorfeld bei jeder/m TeilnehmerIn prüfen, ob die technische Ausrüstung vorhanden ist und sie auch funktioniert. wissma rekrutiert deshalb nur Personen zu Online-Focusgruppen, die über ein genügend großes Tablet verfügen oder einen Laptop/Computer. Und wir testen im Vorfeld mit jedem/r TeilnehmerIn einzeln, ob die technische Anbindung klappt. Es gibt einfach nichts Langweiligeres, als auf andere in der Gruppe warten zu müssen.
TeilnehmerInnenanzahl und Länge der online Focusgruppe Fragen Sie sich manchmal, warum eine einstündige Besprechung im wirklichen Leben weniger anstrengend ist als online? Und ertappen Sie sich, dass Sie eine/n online TeilnehmerIn ansehen, um sie oder ihn zum Reden zu animieren und dann bemerken, dass Ihr Blick ins Leere geht? Wer redet oder nicht, hängt in unserer Gesellschaft von vielen Faktoren ab, dazu gehört auch der Status in der Runde und gelernte Höflichkeitsformen wie das gegenseitige Ausreden lassen. Ganz wichtig aber sind non-verbale Cues wie der Blickkontakt oder eine einladende oder abweisende Körperhaltung, die zum Anreden motiviert, oder nicht. Online muss der Redefluss anders geregelt werden, viel liegt am Moderator, um allen ihre Zeit zu geben. Was offline einfach funktioniert und läuft, ist online anstrengend. Aufzupassen, wenn man angesprochen wird und etwas sagen soll, und sich auch nicht verstecken können, da das eigene Fenster wie ein auf sich gerichteter Spot wirkt, kostet Energie. wissma empfiehlt daher, die Gruppengröße auf 6 Personen zu begrenzen und die Zeitdauer auf eine Stunde maximal.
Der/die Moderatorin wird noch wichtiger Reden können wir doch alle und Gruppen sind wir auch gewöhnt. Was soll also so schwierig sein, eine Focusgruppe zu moderieren? Als Moderator gilt es, eine positive Stimmung aufzubauen, damit sich alle wohlfühlen, die Vielredner ein bisschen zu bremsen und die Stillen aus ihrer Deckung zu locken. Dabei die Gruppendynamik nicht aus den Augen zu verlieren und natürlich die Fragen, die zu stellen sind. Inhalte im Kopf zu gruppieren, Inhalte des Leitfadens nach vorne zu nehmen, wenn es passt, oder nach hinten zu schieben. Neue Inhalte nicht zu ignorieren, wenn sie spannend sind, oder sie dezent abzuwürgen, wenn die TeilnehmerInnen abschweifen. Den natürlichen Flow zu behalten und trotzdem die Ziele der Focusgruppe nicht zu verlieren. Das alles trifft auch auf die Online-Focusgruppe zu. Nur dass auch dem/der ModeratorIn die nonverbalen Cues fehlen. Hier kann nur die Erfahrung und Sensibilität helfen, um diese verbal umzusetzen.
Fazit Bei einigen neuen Einschränkungen eröffnet die Online-FG auch andere Möglichkeiten als die analoge Version – und das nicht nur im Lockdown. Es wäre falsch, sie als Notlösung unter den aktuellen Gegebenheiten abzutun, vielmehr ist es eine methodische Ergänzung, die man bei entsprechendem Erkenntniswunsch ins Auge fassen sollte. Welche Software man verwendet, bleibt eher nebensächlich, wichtig sind vor allem professionelle Vorbereitung und Begleitung.
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